Liebe Freunde und Interessierte der Solawi Lenzwald,
Hier kommt seit langem mal wieder Hofpost vom Lenzwald!
Für unsere MitgärtnerInnen gibt’s diese Woche u.a. die ersten Bohnen, dazu Zuckerschoten, Markerbsen, Salat, Kohlrabi, Gurken, Knoblauch und Zwiebeln.
Mittlerweile treffen wir uns einigermaßen monatlich zum gemütlichen Solawi-MitgärtnerInnen-Café – diesen Monat zum ersten Mal auf unserem Acker!
Nach einem Ackerrundgang ist Zeit für lockeren Austausch, leibliches Wohl und Musik!
Feld- und Welt-Nachrichten
Die Kartoffeln brauchen noch bis voraussichtlich nächste Woche – dann gibt’s die ersten frühen Leyla-Knollen! Letzte Woche haben wir einen mäßigen Anstieg der Kartoffelkäfer, -larven und Eier beobachtet und gründlich abgesammelt. Wenn wir den Befall in dem Stadium konsequent verringern, stehen die Chancen gut, dass unsere Kartoffeln das Jahr unbeschadet überstehen und reich ernten.
Etliche Schnecken und ein paar Wühlmäuse haben unseren ersten Brokkolisatz ganz schön dezimiert – und die verbleibenden Pflanzen scheinen mit dem eingearbeiteten Mist nicht sehr gut klarzukommen, sie wachsen sehr verhalten. Jetzt werden wir noch Kompost besorgen und nachdüngen.
Bei den täglichen Arbeiten unterstützen uns gerade auch zwei Wwooferinnen, die lernend, fragend und tatkräftig mit von der Partie sind! Gemeinsam mit zwei weiteren Mitgärtnern haben wir letzte Woche u.a. das Stützgerüst über den Paprikabeeten installiert. Auch die Rankhilfe für die Markerbsen und Zuckerschoten ist endlich fertig.
Unsere Blühstreifen ziehen Scharen von Insekten an: Wild- und Honigbienen, Hummeln, Falter, Käfer uvm. Es summt und brummt. Futterpflanzen und Lebensraum für Insekten in Agrarlandschaften wird immer rarer und gefährdet dadurch die Stabilität ganzer Ökosysteme. Zu dem Schluss kommt auch der erste Bericht des Weltbiodiversitätsrates, vor allem bei der Bestäubungsleistungen von Insekten.
„Wenn wir die Bienen nicht hätten, dann hätten wir bald auch keine Äpfel, Birnen, Kirschen und Pflaumen mehr. Die Bienen und andere Bestäuber schaffen Milliardenwerte, auf die die Menschheit dringend angewiesen ist. Der Weltbiodiversitätsrat zeigt: Wir brauchen eine nachhaltigere Landwirtschaft, auch in Deutschland und Europa. Es kann nicht sein, dass mit öffentlichen Geldern eine Landwirtschaft unterstützt wird, die letztendlich unsere Lebensgrundlagen zerstört. Wir sollten stattdessen den Landwirten die Leistungen vergüten, die sie für den Natur- und den Artenschutz und für die Kulturlandschaft erbringen.“ (Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, 2016: https://www.bmu.de/pressemitteilung/welt-biodiversitaetsrat-legt-globalen-bericht-zur-lage-von-bluetenbestaeubern-vor/)
Mit Solawi wird zum Glück genau dies direkt und wirksam möglich: MitgärtnerInnen finanzieren mit Ihrem Beitrag eine Landwirtschaft, die elementare Ökosystemleistungen erbringt und das Leben fördert! Das ist aktives Einstehen für die Schöpfung! Danke an alle, die dabei sind!
Dass diese Landwirtschaft und vor allem die Regeneration der Biosphäre ihren Preis hat, betonen wir ja immer wieder. Und ich bin wirklich dankbar und froh, dass diese Botschaft bei unseren MitgärtnerInnen gelandet ist und wir gemeinsam so wohlwollend und bereitwillig das Budget gedeckt haben. Die finanzielle Situation etlicher Solawi ist nicht unbedingt so einfach – was zum einen mit einem fehlenden Bewusstsein der Landwirte über eben diese Kosten und entsprechend wenig selbstbewusster Kommunikation zu tun haben kann und zum anderen mit einer mangelnden Zahlungsbereitschaft der Mitlandwirte – diese Tendenz zumindest hat sich in meiner Masterarbeit herauskristallisiert. Bei fast allen Veranstaltungen und Diskussionen rund um Solawi sind Lohn, Arbeitsbedingungen und Unterfinanzierung ein Dauerthema. Landwirtschaftliche Arbeit und Preise sind das letzte – für viele zumindest. Ich mache mich stark dafür, dass Landwirtschaft, Landwirte und ihre Arbeit mehr Wertschätzung erfahren, ideell und finanziell.
Landwirtschaft ist die Basis unserer Kultur, aber sie muss auch im Zentrum der Kultur stehen! Nur dann kann Boden gesunden und gesunde Menschen daraus erwachsen.
Mittlerweile ist unsere Landwirtschaft gar nicht mehr so klassisch bäuerlich aufgestellt, denn Einzelunternehmer mit Familienarbeitskräften machen nur noch 50% der in der Landwirtschaft arbeitenden aus. Weitere 20% sind ständig Angestellte. Der Rest, 30%, sind Saisonarbeitskräfte, die unter zum Teil miserablen Bedingungen und zu Dumpinglöhnen Erdbeeren, Spargel und viele weitere Gemüse anbauen und ernten. Zur Situation in Deutschland hat meine Studienkollegin Katharina Varelmann diesen aufrüttelnden Bericht erstellt: https://www.peco-ev.de/docs/Flexi_Insecure_Web.pdf. Das ist europaweit weitgehend ähnlich. Weltweit arbeiten Millionen von Menschen als saisonale Wanderarbeiter in der Landwirtschaft, um vor allem den Konsum in Industrieländern zu Billigpreisen zu ermöglichen.
Doch es rührt sich was. ArbeiterInnen organisieren sich und fordern ihre Rechte als Menschen ein. Gewerkschaften, NGO und viele andere arbeiten für positiven Wandel auch in diesem Aspekt der globalen Gesellschaft. Aufstand am Tellerrand (https://www.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/9O19Z/) war das Thema des zweiten politischen Sommerpicknicks, zu dem die Rosa-Luxemburg-Stiftung am Freitag in Berlin eingeladen hatte. Gewerkschafter und Aktivisten u.a. aus Afrika, Indien, USA, Costa Rica, Italien und Spanien berichteten von den Zuständen vor Ort und von ihren Ansätzen. Bewegend bis erschütternd war das. Im globalen Preiskampf ist ein Menschenleben nichts wert. Dieses Thema geht uns alle an! Die Stiftung hatte auch mich eingeladen und in einer relativ kleinen Runde konnte ich dann über die Potentiale von Solawi und den gesellschaftlichen Bewusstseinswandel sprechen, der für Bodenaufbau und faire Arbeitsbedingungen notwendig ist. Das Thema ist auf jeden Fall sehr gefragt und die TeilnehmerInnen waren sehr interessiert.
Abschluss meines Ausflugs in den Norden war dann noch das Rats-Arbeitstreffen des Solawi-Netzwerks, das gerade eine grundlegende Organisationsentwicklung in Richtung Professionalisierung durchmacht. Die Solawi-Bewegung wächst stetig und dynamisch – das Netzwerk stellt sich jetzt neu auf, um weiterhin und effektiv Knotenpunkt für Beratung, Bildung, Politik und Forschung sein zu können. Ich bin zur Zeit eher beobachtend und mitdenkend dabei, aber mein Fokus ist und bleibt die Solawi Lenzwald und Puls der Erde.
Soweit der Überblick über die kritische agrarpolitische Landschaft. Jetzt sitz ich im Zug heim und freu mich darauf, wieder die Hände in den Boden zu stecken und einfach anzupacken, wo es gerade nötig ist 🙂
Eine gute Woche wünscht Euch
Euer Gabriel
Für die Gärtner